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Dr. Mai Thi Nguyen-Kim
promovierte Chemikerin, Wissenschaftsjournalistin und Autorin

Forschungsschwerpunkte

Der Hub im Gespräch mit Dr. Mai Thi Nguyen-Kim

Porträt von Mai-Thi Nguyen-Kim
© Viet Nguyen-Kim

Warum ist Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation wichtiger denn je?

MTN:

Ich wollte gerade erst sagen: Naja, es bedarf ja hoffentlich keiner großen Erklärung, warum Wissenschaft wichtig ist. Aber die Relevanz von Wissenschaft überhaupt begreifbar zu machen, ist ja eine der wichtigen Aufgaben von Wissenschaftskommunikation. Im Informationszeitalter ist es außerdem besonders wichtig zu vermitteln, wie Evidenz entsteht. Man könnte ja meinen, man müsste weniger wissen, wenn man alles googeln kann. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Gerade weil wir beim Googeln fast schon zwangsläufig auf widersprüchliche Aussagen treffen, müssen wir umso besser dazu in der Lage sein, diese unterschiedlichen Infos einzuordnen. 

Desinformation, Populismus und Fake News sind weit verbreitet. Eine Ihrer Sendungen Maithink X hat sich diesem Thema gewidmet. Wie schätzen Sie die Chancen der Wissenschaft in den aktuell schwierigen Zeiten ein?

MTN:

Mit wissenschaftlichen Inhalten in der medialen Gemengelange um Aufmerksamkeit zu kämpfen – it’s like bringing a knife to a gun fight. Am einfachsten bekommt man Aufmerksamkeit durch Zuspitzungen, Verkürzungen und steile Thesen. Und durch starke Emotionen, vor allem negative: Empörung, Wut, Hass. Die einfachsten Tools, um das Spotlight auf sich zu ziehen, lassen sich nur schwer mit Wissenschaft vereinen, die sich durch Differenzierungen, Details und Unsicherheiten auszeichnet. Es ist von vornherein ein unfairer Kampf.

Wie können wir es schaffen, dass Wissenschaft mehr in der öffentlichen Wahrnehmung stattfindet?

MTN:

Ich selbst halte mich an dem optimistischen Gedanken fest, dass viele Menschen all die Verkürzungen und steilen Thesen auch leid sind. Dass sie genervt sind, dass man überall auf widersprüchliche Aussagen trifft. Und vielleicht auch dankbar sind, wenn man sich mal die Zeit nimmt, um Sachverhalte tiefer und detaillierter zu erklären. Ich glaube, dass es durchaus einen großen Bedarf für Wissenschaft gibt. Und wir sollten daher nicht versuchen, die allgemeinen Regeln der medialen Öffentlichkeit auf Wissenschaft zu übertragen und alles möglichst sensationell zuzuspitzen. Sondern den Menschen durchaus auch mehr Tiefe zutrauen. Das ist sozusagen der “USP” (Unique Selling Point) von Wissenschaft, und daran sollte man festhalten.

Was bedeutet für Sie gute Wissenschaftskommunikation und wo sehen Sie Verbesserungspotential?

MTN:

Gute Wissenschaftskommunikation bedeutet, der Sehnsucht nach einfachen Antworten nicht nachzugeben und dem Publikum Komplexität und Differenzierungen zuzutrauen. Aber umso mehr braucht Wissenschaftskommunikation gute, niederschwellige “Hooks”. Damit meine ich, nicht nur an den Kern, den eigentlichen Inhalt, zu denken, sondern auch viel Energie in eine ansprechende Verpackung zu stecken. Denn auch wenn bei Wissenschaft gilt “don’t judge a book by its cover”, ist das Cover ja genau das, was Menschen dazu bewegt, überhaupt ins Buch reinzuschauen. Bei einem YouTube-Video geht es nicht nur um den eigentlichen Inhalt, sondern auch um Videotitel, Thumbnail (Vorschaubild), das Setting, also wie das Bild aussieht, die Ansprache. Oberflächlichkeiten, die dazu führen können, dass der Inhalt möglichst viele Menschen erreicht.

Mit Ihren Sendungen, Büchern und YouTube-Beiträgen sind Sie zu einer der erfolgreichsten Wissenschaftskommunikatorinnen in Deutschland geworden. Was raten Sie jungen Menschen, die auch diesen Weg einschlagen möchten?

MTN:

Unterschätzt nicht Social Media Plattformen, weil sie zu oberflächlich erscheinen. Es ist sicher nicht einfach, eine Reichweite aufzubauen - aber vor nicht allzu langer Zeit war es schier unmöglich.
“Broadcast Yourself” und bleibt authentisch. Viele glauben, man müsste etwa die Sprache von Gen Z lernen, um junge Menschen abzuholen, dabei erreicht man damit oft genau das Gegenteil. Mein Lieblingsbeispiel ist Harald Lesch, der sehr viele junge Menschen erreicht, die ihm gerne zuhören, auch weil er authentisch er selbst ist.

Im November 2024 haben Sie das Buch „welche Farben hat der Regenbogen? aus Ihrer Reihe „Bibibiber hat da mal ne Frage“ im Rahmen der Münchner Bücherschau im Residenztheater vorgestellt. Welche „Zutaten“ sollte Wissenschaftskommunikation haben, um junge Menschen zu erreichen?

MTN:

Die wichtigste Zutat ist: Kinder ernstnehmen. Ehrlich gesagt, Kinder sind ein viel dankbares Publikum als Erwachsene. Sie haben immer noch “Forschergeist”, der vielen im Erwachsenenalter verloren geht. Sie fragen immer und immer weiter “Warum?” und geben sich nie zufrieden. Sie sind offen und frei von Ideologien. Sie sind also das perfekte Publikum für Wissenschaft. Und wie bei Erwachsenen gilt: Wissenschaft darf auch einfach Spaß machen, bunt, lustig oder einfach nur schön sein.

Und welche Farben hat der Regenbogen?

MTN:

Genau genommen gar keine. Denn Farben gibt es “da draußen” gar nicht. Sie entstehen einzig und
allein in unserem Kopf, in unserem Gehirn. Sie sind eine Wahrnehmung. Und da jedes Gehirn ein wenig anders ist, ist jeder Regenbogen ein ganz individuelles Spektakel, das jeder Mensch für sich
erlebt. Das ist zumindest die kurze Antwort, mit nur einem Mindblow. Im BiBiBiber-Buch verstecken auf den sehr vielen bunten Seiten noch viel mehr Mindblows und Antworten auf alle erdenklichen “Warum?”-Fragen.

Welchen Herausforderungen begegnen Sie in Ihrer Arbeit?

MTN:

Meine Arbeit fordert mich täglich heraus. Das fängt an mit Einsteins “Wenn du es nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht gut genug verstanden“. Ich muss also zunächst sehr viel lernen und verstehen. Und das Herausfordernde und Schöne ist, dass es keine Pauschal-Blaupause gibt für die perfekte Erklärung. Je nach Thema muss ich mir immer wieder aufs Neue Gedanken machen, was der beste Weg ist.
Eine der größten Herausforderungen ist der Fokus aufs Wesentliche. Gerade bei MAITHINK X merk ich das bei jeder Sendung, für die wir nicht mehr als 30 Minuten Zeit haben. Wir zerbrechen uns jedes Mal den Kopf, was wir rausschmeißen müssen, damit wir nicht zu lang sind. 

Wie binden Sie Rückmeldungen des Publikums, das sie über die verschiedenen Online-Plattformen erreicht, bei Ihren Formaten ein?

MTN:

Wir halten uns da an den Satz “Bei Kommunikation zählt nicht, was man sagt, sondern was ankommt.”
Wenn wir etwa viele, vielleicht auch empörte Rückmeldungen bekommen, aus denen klar wird, dass diese Menschen das Thema falsch verstanden haben, dann sehen wir die Schuld auf jeden Fall bei uns. Dann wissen wir: Das müssen wir in Zukunft besser erklären. Die Kunst ist es, solche Fälle von denjenigen zu unterscheiden, die etwas nicht verstehen wollen, etwa aus ideologischen Gründen. Das wird es bei Wissenschaft immer geben, man wird immer wieder mit Weltbildern kollidieren, und Fakten können es nun mal nicht allen Recht machen.

Wie können wir es schaffen Fakten statt Mehrheiten wieder ein größeres Gewicht zu geben?

MTN:

Tja, wenn ich das bloß so locker-flockig mal schnell sagen könnte! Ich denke hier an das sogenannte Bullshit-Asymmetrie-Gesetz. Demnach kann man mit sehr wenig Anstrengung Bullshit behaupten, während es unverhältnismäßig viel Anstrengung bedarf, diesen Bullshit zu widerlegen. Für mich heißt das, dass sowohl Wissenschaftskommunikation von Forschenden selbst und Wissenschaftsjournalismus noch stärker gefördert und unterstützt werden müssen, damit diese Anstrengungen im Kampf gegen Bullshit getragen werden können! 

Große Forschungseinrichtungen wie die TU München, die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Helmholtz-Zentrum und das Deutsche Museum und weitere haben sich am Standort München im Rahmen von AHA – The Science Communication Hub zusammengetan, um die Wissenschaftskommunikation in Bayern zu stärken. Wie sehen Sie solche Initiativen einer koordinierten Zusammenarbeit und was möchten Sie den Initiatoren mit auf den Weg geben?

MTN:

Ich finde es oft schwierig, sinnvolle Tipps zu geben an Forschende, die Wissenschaftskommunikation neben ihrer Forschung machen. Ich kann meine Arbeit ja nur deshalb so gut machen, weil ich – erstens - nichts anderes mache. Das ist mein Vollzeitjob. Und - zweitens - ich mach den nicht allein, sondern hab ein kluges, fähiges Team, welches das ebenfalls hauptberuflich macht. Das ist natürlich nicht vergleichbar mit den Ressourcen, die typischerweise für Wissenschaftskommunikation in einem Forschungsinstitut zur Verfügung stehen. Sich zusammenzutun, ist aber auf jeden Fall ein erster wichtiger Schritt. Denn Wissenschaftskommunikation macht sich nicht so einfach nebenbei. Sie erfordert, wenn man es gut machen möchte, sehr viel Kraft und Ressourcen, die man oft nur aufbringen kann, indem man sich zusammentut. 

Dr. Mai Thi Nguyen-Kim ist promovierte Chemikerin, Wissenschaftsjournalistin und Autorin. Bekannt wurde sie 2020 durch „maiLab“ (funk). Von 2018 – 2021 moderierte sie „Quarks“ (WDR), bis sie dann zum ZDF wechselte. Dort ist sie regelmäßig in der Reihe „Terra-X“ zu sehen. Gleichzeitig startete sie 2021 ihre eigene Wissenschaftssendung „Maithink X – Die Show“ bei ZDFneo. Nach ihrem Buch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ (Droemer Knaur) erschien vor kurzem der dritte Band der Kinderbuch-Reihe „BIBIBIBER HAT DA MAL ’NE FRAGE“ (Oetinger Verlag). Für ihre Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet (u.a. Bundesverdienstkreuz, Grimme-Preis).